Dinkel

Wie gesund sind Dinkelprodukte?

Artikel aus dem Tages-Anzeiger von Kathrin Burger, Publiziert: 04.05.2023

Dinkelkekse, Dinkelmehl, Dinkelnudeln – nichts geht mehr ohne das trendige Getreide. Wie gut schneidet es aber im Vergleich zum klassischen Weizen ab?

Der Blick in die Regale von Grossverteilern und Bäckereien offenbart es: Dinkel liegt im Trend. Dort stapeln sich Brot und Brötchen, Mehl, Körner, Flocken, Griess, Kleie, Waffeln, diverse Kekse, Pflanzendrinks und Bier aus Dinkel. Ein Blick in die Agrarstatistiken bestätigt: 2021 wurde hierzulande auf 146’400 Hektaren Getreide angebaut, was gegenüber dem Vorjahr einem Anstieg um 3 Prozent entspricht. Das stärkste Wachstum gab es beim Dinkelanbau mit plus 12 Prozent, bei Hafer mit plus 7 Prozent und Weizen mit plus 5 Prozent. Das spiegelt sich im Verkauf von Mehl wider. Zwar wird immer noch am häufigsten Weizenmehl verwendet. Doch der Absatz von Dinkelmehl hat in den vier Jahren zwischen 2018 und 2021 um über 44 Prozent zugenommen.

Doch was steckt hinter dem Dinkel-Boom? Ist das Getreide vielleicht gesünder oder nachhaltiger im Anbau und darum beim Konsumenten so beliebt?

Dinkel profitiert in jedem Fall von der seit einigen Jahren grassierenden Skepsis gegenüber Weizen. Dinkel gilt als bekömmlicher. «Patienten mit einer Glutenunverträglichkeit oder einem Reizdarmsyndrom berichten beispielsweise oft, dass sich ihre Beschwerden wie Blähungen oder Verstopfung verbessern, wenn sie Dinkel- anstatt Weizenbrot essen», sagt Yurdagül Zopf, Gastroenterologin an der Universität Erlangen. Auch aus einer Befragung des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2022 geht hervor: Vier von fünf Personen halten Dinkel für weniger allergiefördernd als Weizen.

Dinkel enthält mehr Eiweiss, Weizen mehr Ballaststoffe

Tatsächlich hat dies jedoch wenig mit dem Korn an sich zu tun. Denn: Brotweizen, Triticum aestivum ssp. aestivum, und Dinkel, Triticum aestivum ssp. spelta, sind eng miteinander verwandt. Dinkel ist also eine Weizenart, nur die jeweiligen Dinkel- und Weizensorten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Nährstoffzusammensetzung etwas. So enthält Dinkel zum Beispiel im Durchschnitt mehr Eiweiss sowie mehr Eisen, dafür weniger Ballaststoffe als Weizen. «Das sind aber keine nennenswerten Unterschiede, sodass man sagen könnte, Dinkel oder Weizen sei gesünder», sagt Heiko Zentgraf von der Vereinigung Getreide-, Markt- und Ernährungsforschung. Beide Getreide enthalten in ihrer Vollkornvariante zahlreiche Vitamine, wichtige Mineralstoffe wie Eisen und Zink sowie sekundäre Pflanzenstoffe, die als Schutz gegen diverse Volksleiden gelten.

Studien belegen auch, dass sich die Qualität von Weizen, der oft als überzüchtet dargestellt wird, in den vergangenen 100 Jahren nicht verschlechtert hat. «Es findet sich also zum Beispiel heute nicht mehr Gluten in modernen Weizenkultursorten als in älteren Sorten», sagt Zopf, die an diesen Studien teilweise mitgewirkt hat. Das Protein Gluten wird in zahlreichen Ratgebern und Internetforen als das Böse schlechthin dargestellt. Es soll nicht nur Verdauungsbeschwerden bereiten, sondern auch Übergewicht oder neurologische Störungen wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen bis hin zu psychiatrischen Leiden verursachen.

Das Kuriose: Dinkelsorten weisen mehr Gluten auf als Weizen. Weizenverächter halten jedoch dagegen, dass in Dinkel verschiedene Untergruppen von Gluten, nämlich weniger sogenannte Gliadine vorkommen, die Immunreaktionen triggern könnten. Doch auch das konnte in Studien beim Vergleich von Weizen- und Dinkelsorten widerlegt werden. Im Gegenteil enthalten moderne Weizensorten durchschnittlich prozentual weniger Gliadine als ältere Weizensorten und auch weniger als die «Urgetreide» Einkorn oder Dinkel.

Der Gehalt von Gluten variiert je nach Anbauort

Ein weiterer Inhaltsstoff von Weizen, über den diskutiert wird, sind sogenannte Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI). Auch diese gelten als entzündungsfördernd und als mögliche Auslöser für eine Unverträglichkeit. Hier zeigt sich das gleiche Bild: In Dinkel stecken teilweise mehr ATI als in Brotweizen. Nur in Einkorn fand man diese Pflanzenstoffe kaum, die als Abwehr gegen Schaderreger gebildet werden. Tatsächlich ist der Gehalt von Gluten wie auch von ATI erheblich vom Anbauort, also von der Bodenqualität, sowie von den klimatischen Verhältnissen abhängig.

In einer Studie der Universität Hohenheim aus dem Jahr 2022 wurde denn auch nachgewiesen, dass bei einer Blindverkostung Patienten mit einer Glutenunverträglichkeit keineswegs unterschiedlich auf Dinkel-, Einkorn- oder Weizenbrot reagierten. Auch das BfR kommt zu dem Schluss, «dass es bislang keine veröffentlichten, aussagekräftigen klinischen Daten gibt, die ein geringeres allergenes Potenzial von Dinkel gegenüber handelsüblichem Weizen belegen würden».

Also alles Einbildung?» Die Beschwerden der Patienten sollten ernst genommen werden», sagt Zopf. «Die schlechtere Verträglichkeit kann auch mit der Teigzubereitung und Verarbeitung zu tun haben.» Denn bei einer längeren Reifung von Sauerteig werden Substanzen wie Gluten oder auch bestimmte getreideeigene Kohlenhydrate, die Fodmaps, abgebaut, die Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit zu schaffen machen können. «Unabhängig davon, ob es ein Weizen- oder Dinkelsauerteig ist: Ein handwerklich gut hergestelltes Brot ist in jedem Fall bekömmlicher als Brot, das kaum Zeit zum Fermentieren hatte», so Zopf.

Dinkelprodukte mit mehr Vollkornanteilen

Zudem wird Dinkelmehl meist mit einem Vermahlungsgrad der Type 630 oder höher angeboten. Dadurch enthalten Dinkelprodukte in der Regel mehr Vollkornanteile und sind damit mineral- und ballaststoffhaltiger als die am häufigsten verwendeten Weizenprodukte. Weizenmehl wird vorwiegend mit einem tiefen Ausmahlungsgrad hergestellt (Type 550). Das bedeutet, dass weniger Vollkornanteile – etwa die Schale und der Keimling des Korns – vermahlen werden.

Gerade bei Reizdarm-Patienten, die oft von Verstopfung geplagt werden, kann sich der höhere Ballaststoffgehalt der Dinkelmehle abführend auswirken und Symptome lindern. Die wachsende Beliebtheit von Dinkel lässt sich jedoch nicht nur mit einer vermeintlich besseren Verträglichkeit erklären. Die alten Sorten, also in diesem Fall Urgetreide wie Dinkel oder auch Einkorn und Emmer, bedienten verschiedene Trends, sagt Heiko Zentgraf. «Dazu zählen Regionalität, Superfood oder Selberbacken.» Tatsächlich ist Dinkel entwicklungsgeschichtlich jünger als Weizen. Dennoch war Dinkel zwischen 500 bis 1500 nach Christus das wichtigste Nahrungsmittel und Handelsgetreide in weiten Teilen der Schweiz, in Tirol, Baden-Württemberg und Mittelfranken.

Auch das Leben der Universalgelehrten Hildegard von Bingen fiel in diese Dinkel-Hochphase, genauer ins 12. Jahrhundert. Sie mass dem Dinkel einen besonderen Gesundheitswert bei und wird heute gerne im Zusammenhang mit dem Weizen-Bashing zitiert. Laut ihren Schriften ist Dinkel nicht nur bekömmlicher, das Getreide soll zudem das Gemüt auflockern. «Dem Dinkel haftet ein kulturell gepflegter Gesundheits- und auch Natürlichkeitsmythos an», sagt Daniel Kofahl, Ernährungssoziologe im Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur. «Wenn von Dinkel nur das Beste von ‹Mutter Natur› erwartet wird, dann kann dies das individuelle Wohlbefinden beeinflussen.»

So alt sind Dinkelsorten gar nicht

Schlecht ins Bild passt hier allerdings die Tatsache, dass auf Schweizer Äckern Dinkelsorten wachsen, die nicht älter als 45 oder 75 Jahre alt sind, also auch züchterisch weiterentwickelt wurden. «Die Hauptsorten sind Oberkulmer Rotkorn und Ostro. Diese wurden in den Jahren 1948 und 1978 in den nationalen Sortenkatalog eingeschrieben», bestätigt Lilia Levy Häner von der Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. Andererseits würden aber bei keiner anderen Getreideart so alte Sorten angebaut wie beim Dinkel, fügt Levy Häner an.

Zentgraf findet die Entwicklung zu mehr Urgetreide dennoch gut: «Je mehr unterschiedliche Sorten angebaut werden, desto besser ist es für die Biodiversität auf dem Acker.» Der Dinkelboom hat zum Beispiel dazu geführt, dass alte Dinkelsorten, die ehemals auf der Roten Liste standen, nun wieder auf den Äckern spriessen. Dinkel wächst ausserdem auch auf kargen Böden und braucht weniger Dünger, ist also etwas nachhaltiger im Anbau. Letztlich sind Urgetreide auch anders im Geschmack und können so zu mehr Vielfalt auf dem Teller beitragen. Auch wenn Dinkel & Co. als solche nicht gesünder sind, so hat der allgemeine Trend sehr wohl auch seine Vorteile.

Einige interessante Kommentare:

Raphael Kolbin – 05.05.2023
Jeder muss/sollte seine ihm verträgliche und ernährungstechnische nutzbringende Getreideart für seinen Verdauungsapparat (Darm) selber herausfinden. Es gibt da bei den Getreiden verschiedene Arten welche als Mehl zu ernsthaften und weniger ernsthaften Verdauungsproblemen mit Kollateralschäden führen können. Es ist wichtig den Darm nicht chronisch mit falschem Getreide zu belasten, zumal der Mensch wie wir heute wissen auch mit dem Darm denkt.
Letztendlich gilt: Je besser wir auf unseren Körper hören und ihn mit gesunden Lebensmitteln versorgen, desto besser fühlen wir uns.

Marco Grolimund – 04.05.2023
Ich hatte anhand des Titels gehofft, dass weitere gesundheitsrelevante Aspekte wie der glykämische Index, Sättigungsvermögen oder auch ein genauer Vergleich der Makro- und Mikronährstoffe abgehandelt werden. In Bezug auf Volkskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht und die damit einhergehenden Folgeerkrankungen erscheint mir dies zentral.
Ich denke diesbezüglich würde wahrscheinlich vieles für Dinkel sprechen.
Der Fokus auf die Unverträglichkeit von Gluten erscheint mir etwas kurz gegriffen – zumal die Betroffenen wahrscheinlich wissen, was sie vertragen und was nicht.

Ivan Horber – 04.05.2023
Ich bekomme von Dinkel leider die gleichen Beschwerden wie von Weizen, aber sie sind abgeschwächt. (Fast) weg sind sie bei Hafer, und ganz safe ist: Reis. Und zur Frage, ob eingebildet oder nicht: leider kann ich 4-6h nach Konsum immer sagen, ob da etwas mit Weizen drin war oder nicht. Und eine Zoelikaie habe ich nicht, just to clarify!
MarkusB – 04.05.2023
@Ivan Horber
Das hört sich sehr nach einer leichten Zöliakie an – Hafer hat kaum/kein Gluten und Reis gar kein. Aber die Übergänge zwischen Zöliakie und einer Glutensensitivität sind fliessend und längst nicht so klar abgetrennt wie normalerweise dargestellt.