Warum Muskeln Proteine benötigen

Muskeln – Die Gesundmacher

In einem Interview mit dem In Tages-Anzeiger vom 14. August 2023 (Frederik Jötten – Das Magazin) mit Ingo Froböse erklärt der Sportwissenschaftler vieles zum Thema Muskeln:

Das ultimative Muskel-Interview «Wer nicht trainiert, stirbt früher»
Sportwissenschaftler Ingo Froböse weiss fast alles über Muskeln. Er erklärt, warum ein Waschbrettbauch nichts mit Lebensqualität zu tun hat und wie Muskelkater wirklich entsteht.

«Für viele Menschen ist der Waschbrettbauch unmöglich zu erreichen», sagt Froböse.

Der renommierte Sportwissenschaftler hat heute noch keinen Sport gemacht, sondern lässt gerade trainieren. Nebenan in seinem Labor testet sein Team die Maximalkraft der Kniestrecker und Kniebeuger nach dem Trinken eines zuckerhaltigen Getränks.

Ingo Froböse (66), Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat sich für das Interview in einen schmucklosen Seminarraum zurückgezogen, Paneele, Tische, Stühle, alles in weiss. Hier läuft sonst Hochschulbetrieb. «Für heute Nachmittag um fünf bin ich mit meiner Frau zum Laufen verabredet», sagt Froböse, der sehr schlank, ja hager wirkt.

Sechsmal pro Woche joggt er oder fährt Velo – und zusätzlich trainiert er täglich seine Muskeln mit dem eigenen Körpergewicht. Er lebt offensichtlich, was er lehrt. Es gibt kaum eine sportwissenschaftliche Frage, zu der man kein Video des ehemaligen Deutschen Vizemeisters über 100 Meter im Internet findet – konkrete Anleitungen, etwa Übungen gegen Nackenschmerzen, aber auch Ernährungstipps und Erklärungen zur Trainingstheorie. Immer leicht verständlich, immer ernst und, insbesondere wenn er Übungen anleitet, in dieser eindringlichen Tonlage eines Sportlehrers. Gerade ist sein Buch «Muskeln. Die Gesundmacher» (Ullstein-Verlag) erschienen. Die Gelegenheit, ein paar grundsätzliche Dinge über Muskeln zu fragen.

Die Basics Wie funktionieren Muskeln?

Warum ist es so verdammt anstrengend, aus dem Stand eine Treppe hochzurennen – sogar, wenn man regelmässig Sport macht?

Es dauert ein bis zwei Minuten, bis sich die Muskeldurchblutung an eine plötzliche Belastung angepasst hat. Deshalb fehlt es zunächst an Sauerstoff und Zucker, der Körper muss die Energie aus Reserven durch Gärung decken – es entsteht Milchsäure. Mit aufgewärmter Muskulatur und guter Durchblutung wäre das Treppenlaufen für die meisten kaum noch anstrengend, weil genügend Sauerstoff und Nährstoffe vorhanden sind.

Aber die Milchsäure verursacht nach aktuellem Forschungsstand nicht den Muskelkater?

Wir haben früher gedacht, dass der Muskelkater mit Übersäuerung zusammenhängt und durch Ansammlungen von Milchsäure, auch Laktat genannt, entsteht. Heute sehen wir Milchsäure viel positiver – das Herz etwa deckt damit einen Grossteil seines Energiebedarfs. Wir wissen mittlerweile, dass der Muskelkater durch Zerstörung von Gewebe innerhalb des Muskels entsteht. Er blutet nicht, aber es gibt winzige Einrisse. Dort entwickeln sich kleine Entzündungen. Die Zelle quillt auf, es wird Wasser eingelagert, es entsteht ein Spannungsgefühl. Deshalb spüre ich den Muskelkater erst 18 bis 24 Stunden nach dem Training.

Klingt nicht gesund.

Jede Bewegung zerstört Gewebe. Zellen erneuern sich rund um die Uhr. Wir verlieren 600 Milliarden Zellen jeden Tag. Muskelkater bedeutet, dass der Muskel noch nicht gut trainiert war. Ich brauche ihn nicht für einen Trainingserfolg, aber er ist in keinerlei Hinsicht bedenklich. Ob wir Muskelkater haben oder nicht – der Muskel braucht immer Regeneration nach dem Training. In dieser Zeit finden Reparatur- und Umbauprozesse statt. Es bringt nichts, täglich ins Fitnessstudio zu gehen und die gleichen Muskelgruppen zu trainieren.

Warum schwitzt man beim Sport?

70 Prozent der Energie, die wir benötigen, um uns zu bewegen, wird im Muskel direkt in Wärme umgewandelt. Das ist vergleichbar mit der Abwärme eines Kraftwerks. Durch die Durchblutung der Haut gibt der Körper Wärme nach aussen ab. Um nicht zu überhitzen bildet der Körper Schweiss – die Verdunstung kühlt.

Der Waschbrettbauch

Sie machen selbst sehr viel Sport – haben Sie eigentlich einen Waschbrettbauch?

Nein, aber immerhin sieht man ein Muskelrelief unter der Haut – ich würde sagen, für mein Alter ist der Bauch noch vorzeigbar.

Treiben Sie Sport, um gut auszusehen?

Muskeln haben einen ästhetischen Wert, aber den Körper rein äusserlich perfektionieren zu wollen, hat rein gar nichts mit Fitness und Lebensqualität zu tun. Und darauf kommt es doch an.

Steht der Kult um das Sixpack für das fehlende öffentliche Verständnis über Muskulatur?

Absolut – für viele Menschen ist der Waschbrettbauch anatomisch unmöglich zu erreichen. Die Muskulatur ist missbraucht worden. Viele verstehen unter Krafttraining leider Bodybuilding.

Leider?

Da geht es nur darum, äusserlich möglichst viel Volumen zu erreichen. Das hat nichts mit Gesundheit zu tun.

Sie schreiben: «Unsere Muskulatur repräsentiert sehr deutlich und schonungslos den Gesundheitszustand unseres gesamten Organismus allein durch unser Körperbild.» Wie stehen Sie zur Body-Positivity-Bewegung, die Menschen ermutigt, auch mit ihrem Körper zufrieden zu sein, wenn sie übergewichtig sind?

Wir alle sind mit Fettzellen ausgestattet. Jeder Körper ist individuell. Lieber moppelig und fit als schlank und unfit. Body-Positivity finde ich deshalb gut, weil die Aussensicht auf einen Körper keine Einsicht über die innere Zusammensetzung bringt. Das kann man nur selbst beurteilen – durch einen achtsamen Blick auf den eigenen Körper.

Andererseits sind Sie ja schon streng: Sie geisseln die Bewegungsfaulheit in unserer Gesellschaft und die Epidemie der Fettleibigkeit.

Man muss die Dinge schon beim Namen nennen: Die Fettmasse verdrängt die Muskelmasse – und das hat fatale Folgen. Für die US-Amerikaner haben Wissenschaftler der Harvard University errechnet, dass jedes zweite heute geborene Kind mit fünfunddreissig Jahren fettleibig sein wird. Diese Kinder werden kürzer leben als ihre Eltern – weil Fettleibigkeit langfristig wortwörtlich mit tödlicher Sicherheit zu Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems wie Herzinfarkt und Schlaganfall führt.

Nun ist in den USA bekanntermassen die Fettleibigkeit besonders verbreitet …

Der Trend in den westlichen Industrieländern geht überall in die gleiche Richtung. Aber auch wenn Fettleibigkeit besonders schädlich ist: Schlanke können ebenfalls ungesund sein – durch viel zu wenig Muskelmasse.

Muskeln im Alter

Warum ist zu wenig Muskelmasse ein Problem?

Ab dem dreissigsten Lebensjahr geht es bergab mit unserer Muskulatur, sie wird abgebaut, wenn wir sie nicht ausreichend trainieren. Jedes Jahr verlieren wir schleichend etwa ein Prozent unserer Muskeln. Das ist dramatisch, denn so verschwinden etwa 30 bis 50 Prozent der Muskelmasse bis zum achtzigsten Lebensjahr.

Aber ist es nicht normal, dass wir mit achtzig nicht mehr so viele Muskeln haben wie mit dreissig?

Uns allen droht im Alter der krankhafte Verlust von Muskeln – und wer keine Kraft mehr hat, wird pflegebedürftig. Aber dieses Phänomen, genannt Sarkopenie, ist kein Schicksal. Wer seine Muskulatur aufbaut und in Schuss hält, kann es verhindern und oft bis ins hohe Alter seine Selbstständigkeit erhalten.

Demnach wäre das Pumpen quasi eine gesellschaftliche Aufgabe?

Die Stärkung unserer Muskeln ist das, was wir in der Hand haben, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Das ist natürlich gesellschaftlich höchst relevant, wenn wir an den Fachkräftemangel im Pflegesektor und an die explodierenden Kosten im Gesundheitsbereich denken. Vor allem will aber doch niemand vorzeitig in eine hilflose Lage geraten. Das Wissen um die Wichtigkeit des Krafttrainings ist leider noch nicht in der breiteren Bevölkerung, ja nicht einmal in der Ärzteschaft angekommen. Es ist für mich ein Skandal, dass die Muskulatur noch immer nicht in die normale medizinische Diagnostik integriert ist. Dabei haben Studien schon vor Jahren gezeigt, dass wenig Muskelmasse mit einem deutlich höheren Risiko eines vorzeitigen Todes einhergeht.

Wer nicht trainiert, stirbt?

Stirbt definitiv früher.

Eigentlich müsste es demzufolge Krafttraining auf Rezept geben?

Das könnte ein Anstoss für Menschen sein, damit anzufangen. Wichtig wäre, dass jeder weiss: Wir besitzen eine körpereigene Apotheke, die jederzeit griffbereit ist. Krafttraining stärkt nicht nur die Muskeln, sondern beeinflusst gleichzeitig positiv Blutdruck und Stoffwechsel, verringert das Risiko für Herzkrankheiten, Diabetes, Demenz und Krebs. Allerdings gibt unsere Apotheke ihre Heilstoffe nur dann ab, wenn wir unsere Muskeln aktiv einsetzen.

Die Muskeln können quasi alle unsere gesundheitlichen Probleme verhindern und halten jung bis ins hohe Alter. Bei solchen vermeintlichen Allheilmitteln kann man skeptisch werden – wie soll unsere Muskulatur all das bewirken können?

Erst in den vergangenen Jahren hat sich abgezeichnet, dass die Muskulatur das grösste Organ des Körpers ist, das hormonähnliche Stoffe ausschüttet. Es sind hunderte verschiedene Substanzen, die sogenannten Myokine. Wir wissen noch nicht, wie das im Detail funktioniert, aber diese Botenstoffe sorgen wohl für all die positiven Effekte von Muskeltraining auf die Gesundheit, die wir aus Studien mit Hunderttausenden Teilnehmern kennen.

Der Muskelaufbau

Zuletzt kam eine solche grosse Studie zu dem Ergebnis: Auch alltägliche Aktivitäten wie schnell zur Bushaltestelle Rennen, energische Hausarbeit oder Spielen mit den Kindern sind gesund und senken bereits das Sterberisiko ähnlich wie bei Menschen, die regelmässig Sport treiben.

Jede kleine Bewegungseinheit ist gut für unsere Gesundheit. Das heisst aber nicht, dass das schon ausreichend ist. Beim alltäglichen Bewegen, etwa bei Spaziergängen und bei der Hausarbeit, kommt die Proteinsynthese nicht in Gang, das heisst, es werden keine neuen Muskelfasern gebildet. In der von Ihnen zitierten Studie kamen Fitnesstracker zum Einsatz, die registrierten, wenn sich Probanden im Alltag körperlich sehr verausgabten – und die Menschen, die profitierten, gingen mehrfach am Tag an die Belastungsgrenze. Das gleicht dann schon einem Training mit kurzzeitig hoher Intensität. Wenn man sich weniger stark anstrengt, erreicht man übrigens auch einen Effekt, sofern man bis zur völligen Ermüdung trainiert. Dann können auch ein Muskeltraining in einem Bereich um 40 bis 60 Prozent der Maximalkraft oder ein Fahrradergometer-Training bei entsprechendem Widerstand ebenfalls die Proteinsynthese anregen.

Und wenn man gar keine zusätzliche Muskelmasse aufbauen will, dann braucht man doch keine Proteinsynthese im Muskel?

Wenn ich von Muskelaufbau spreche, dann meine ich keine grosse Volumenzunahme wie beim Bodybuilding. Wir alle brauchen Muskelaufbau, schon alleine, um keine Muskelmasse zu verlieren, denn diese muss ständig erneuert und repariert werden. Wenn wir stärker werden wollen – auch ohne Volumenzunahme des Muskels – brauchen wir erst recht Muskelaufbau.

Sie sprechen vom Muskeltraining – gemeint ist damit aber nicht das, was die meisten machen – Ausdauersport, ein bisschen Joggen, ein bisschen Radfahren?

Der Blick der Medizin richtet sich meist aufs Abnehmen und deshalb auf den Ausdauersport. Dabei profitieren sogar Übergewichtige mehr vom Training der Muskulatur und einer Vergrösserung der Muskelmasse.

Frauen und Muskeln

Sie sprachen eben von der Epidemie der Fettleibigkeit – ist es nicht gerade das krankhafte Übergewicht, das vom Herzen bis zu den Gelenken gesundheitliche Probleme verursacht?

Man sollte den Fokus aber nicht aufs Gewicht legen. Muskeln sind schwerer als Fett, manche Menschen nehmen deshalb sogar zu, wenn sie beginnen zu trainieren. Gesundheitlich profitieren sie dennoch massiv – denn am ungesundesten ist das Fett, das die Organe im Bauchraum umgibt, das sogenannte viszerale Fett. Es sondert ständig Entzündungsbotenstoffe ab, die schädlich für Herz und Gefässe sind und das Diabetesrisiko erhöhen. Langfristiges Muskeltraining reduziert das viszerale Fett und die Ausschüttung der entzündlichen Botenstoffe – unabhängig von der Gewichtsreduktion. Muskeltraining ist die bessere und nachhaltigere Strategie als Ausdauertraining, um die Gesundheit dauerhaft zu fördern. Optimal wäre es, Ausdauer und Muskelkraft zu trainieren. Aber wenn man das nicht schafft, empfehle ich: Entscheiden Sie sich für das Krafttraining. Das gilt insbesondere für ältere Menschen. Und Frauen.

Warum für Frauen?

Sie haben weniger Muskelmasse als Männer, deshalb ist es für sie besonders sinnvoll, Krafttraining zu machen. In den Wechseljahren geht besonders schnell Muskulatur verloren – am besten Frauen bauen vorher Muskulatur auf und trainieren nach der Menopause weiter, um ihre Kraft zu behalten. Aber auch danach lohnt es sich noch anzufangen.

Zuletzt haben Sportlerinnen wie die Skirennläuferin Mikaela Shiffrin öffentlich gemacht, dass Menstruationsbeschwerden sportliche Leistung stark beeinflussen.

Der Zyklus hat grossen Einfluss auf Leistungsfähigkeit. Natürlich wirken sich Regelschmerzen und Stimmungstiefs negativ aus. Aber auch das Training ist je nach Phase unterschiedlich effektiv bei Frauen. In der follikulären Phase – also derjenigen vom Beginn des Zyklus bis zum Eisprung – ist Krafttraining besonders wirksam. Allerdings erlebe ich immer wieder, dass Frauen sehr zurückhaltend sind, ihre Muskeln zu stärken. Oft fürchten sie, ihre Figur zu verlieren – vollkommen unbegründet. Man kann so trainieren, dass man stärker wird, ohne dass das Muskelvolumen merklich zulegt.

Wie geht das? Auch nicht jeder Mann will wie ein Bodybuilder aussehen.

Wenn man mit dem Training beginnt, wird der Muskel zunächst innerlich durch Umwandlungen stärker, ohne dicker zu werden. Und wenn man nicht gezielt auf Massenzuwachs trainiert, dann wird man kaum Volumen zulegen. Ich zum Beispiel mache viel Sport, viel Muskeltraining – und baue kaum Muskelmasse auf.

Tipps für Minimalisten – Muskeltraining

Verstanden, man muss etwas tun. Aber die Zeit ist immer knapp. Was ist der Mindesteinsatz für Faule?

Ich habe mal ein Neun-Minuten-Programm entwickelt, also um die zehn Minuten am Tag sollten es sein. Am effektivsten ist es, die grossen Muskeln zu trainieren. Mit Liegestützen, Kniebeugen und dem diagonalen Arm- und Beinheben im Vierfüsslerstand ist man schon ganz gut dabei.

Es soll angeblich sogar mit noch weniger Zeitaufwand gehen: Fitnessstudios werben mittlerweile damit, dass man bei ihnen innerhalb von zwanzig Minuten pro Woche Muskeln aufbauen und gleichzeitig abnehmen kann – mit der sogenannten Elektromyostimulation, kurz EMS, bei der die Muskeln von aussen mittels elektrischer Reize zum schnellen Zucken gebracht werden. Ist das sinnvoll?

EMS kommt aus der Rehabilitationsmedizin – und im Muskelaufbau bei Menschen, die durch Krankheit oder durch eine Operation viel Muskelmasse verloren haben, sehe ich auch ihre wichtigste Anwendung. Auf jeden Fall sollte diese Technik nie ohne zusätzliche Sporteinheiten benutzt werden. Denn bei einem effektiven Training geht es auch darum, das Zusammenspiel von Nerven und Muskeln zu trainieren. Das fehlt bei der EMS komplett, da die Stimulation durch Elektroden von aussen kommt.

Wie schnell baut sich Muskulatur ab?

Nach zwei Wochen hat man schon 20 Prozent verloren, wenn man bettlägerig ist. Der Körper verhält sich aus seiner Sicht ökonomisch und erhält nur Muskeln, die auch benutzt werden, ganz nach dem Prinzip: «Use it or lose it.»

Und wenn man einen Infekt nach dem anderen hat, so dass man einige Wochen keinen Sport machen kann?

Man verliert dann auch merklich Muskulatur – aber trotzdem sollte man bei einem Infekt pausieren. Besser ein paar Trainingseinheiten ausfallen lassen, als eine Herzmuskelentzündung zu riskieren. Leider dauert es viermal so lang, Muskulatur wieder aufzubauen wie der Verlust der gleichen Masse.

Die Ernährung und Muskeln

Wenn man diese Muskulatur wieder aufbauen möchte oder sie erhalten beziehungsweise sich kräftigen möchte – was sollte man bezüglich der Ernährung beachten?

Wir brauchen Proteine, denn daraus bestehen Muskeln. Wir sollten sie in hochwertiger Form zu uns nehmen. Der Massstab ist das Hühnerei, denn darin sind alle essenziellen Aminosäuren enthalten – in einer Form, die wir perfekt aufnehmen können. Aber auch mit veganer Ernährung ist es möglich, genügend Protein aufzunehmen. Etwa Linsen, Tofu und Sojaprodukte sind dafür geeignet.

Wie viel Protein sollte man denn zu sich nehmen?

Unter fünfzig Jahren ein Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, Ausdauersportler brauchen etwas mehr, 1,2 bis 1,8 Gramm, Kraftsportler bis zu zwei Gramm. Vor allem ist den meisten Menschen nicht bekannt, dass man ab fünfzig per se mehr Proteine zu sich nehmen muss – auch wenn man keinen Sport macht: etwa 1,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Proteine werden vom Körper im Alter schlechter aufgenommen und verstoffwechselt. Es ist eine Schande, dass in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen meist Mahlzeiten mit viel zu wenig Protein auf den Tisch kommen. So macht man die Kranken kränker und die Pflegebedürftigen schwächer.

Nimmt man wirklich mit normaler Ernährung zu wenig Protein zu sich? Ist nicht eher das Zuviel an tierischen Produkten das Problem für unsere Gesundheit?

Normale Ernährung ist ein dehnbarer Begriff – wer sich hauptsächlich von weissen Brötchen mit Marmelade ernährt, kommt nicht auf die entsprechenden Mengen. Als Anhaltspunkt: Ein Ei hat etwa 7 Gramm Protein, Quark 14 Gramm pro 100 Gramm. Natürlich darf man es auch nicht übertreiben, bei zu viel tierischem Protein droht Gicht. Ausserdem ist eine einseitige, fleischlastige Ernährung in vielerlei Hinsicht ungesund. Aber mit einem vielseitigen Speiseplan und den angegebenen Mengen nimmt man auf jeden Fall nicht zu viel Protein zu sich.

Brauchen Muskeln auch Kohlenhydrate?

Kohlenhydrate sind wichtig, weil sie uns Leistung ermöglichen. Sie liefern den Treibstoff für die Muskulatur. Ohne sie können wir keine Treppe gehen, nichts schweres Tragen, schnell laufen. Ausserdem fördern sie sogar den Muskelaufbau, weil sie eine Insulinausschüttung bewirken – und das hemmt den natürlichen Muskelabbau. Kein Sportler käme auf die Idee, auf Kohlenhydrate zu verzichten. Ich empfehle, zwei bis fünfmal so viel Kohlenhydrate wie Proteine zu essen, am besten zusammen.

Also ist Low Carb bei der Muskelstärkung Unsinn?

Ja, denn der Muskel braucht Kohlenhydrate. Bei Low Carb geht es den meisten Menschen darum, weniger Kalorien zu sich zu nehmen, um Gewicht zu verlieren. Aber wer mit einer Diät abnehmen möchte, läuft immer Gefahr, deutlich Muskelmasse einzubüssen. Wir signalisieren dem Körper damit eine Hungersnot – er baut dann Muskeln ab, um zu überleben.

Wichtig ist aber auch, wann man isst?

Der Muskelstoffwechsel wird durch das Training für 24 bis 48 Stunden angeregt – in dieser Zeit sollte man besonders darauf achten, genügend hochwertige Proteine zu essen, damit sich kleine Verletzungen regenerieren können und sich ein positiver Trainingseffekt einstellt.

Und was ist mit dem Essen vor dem Sport? Sie sprechen in Ihrem Buch von den positiven Effekten des Trainings ohne vorherige Nahrungsaufnahme.

Das ist etwas für Profis. Dem Hobbysportler würde ich nicht empfehlen, nüchtern zu trainieren, denn die Anfälligkeit für Infekte kann steigen.

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Die Augen, Der Rücken – Muskeln trainieren

Vielleicht noch ein paar konkrete Tipps zum Sport – soll man sich jetzt aufwärmen vor dem Training?

Ich mache es nicht, sondern ich fange einfach nicht mit höchster Intensität an. Zum Beispiel indem ich einfach etwas langsamer loslaufe – da passiert nichts. Sich zu dehnen, macht vor dem Sport keinen Sinn, weil die Muskulatur noch nicht aufgewärmt ist.

Aber dann nach dem Training?

Ja, Dehnung funktioniert nur in einem aufgewärmten Zustand. Aber bitte ohne Leistungsdruck, unter den Aspekten Lockerung, Entspannung, Regeneration.

Kann man sich wirklich durch Muskeltraining die Altersweitsichtigkeit abtrainieren – und so auf eine Lesebrille verzichten?

Die Einstellung des Auges auf die Entfernung geschieht durch Muskulatur – und ist deshalb grundsätzlich trainierbar. Man kann die Lesebrille weglassen, um die Einstellung des Auges auf die Nähe wieder zu erlernen. Das Training besteht vor allem aus schnellen und regelmässigen Wechseln zwischen Nah- und Weitsehen, damit sich das Auge schnell anpasst. Die Augenmuskeln lernen, sich neu einzustellen. Eine südkoreanische Forschergruppe hat im vergangenen Jahr veröffentlicht, dass das Verfahren funktioniert – Augenliegestütze verringern Altersweitsichtigkeit.

Hätten Sie noch eine wirkungsvolle Übung gegen Rückenschmerzen?

Das Geheimnis des gesunden Rückens ist eine gute tiefe Muskulatur – also diejenige, die direkt an der Wirbelsäule anliegt, und dafür sorgt, dass jedes Gelenk, jedes Wirbelsegment immer in der optimalen Position steht. Die tiefe Muskulatur ist autochthon, das bedeutet, sie lässt sich willentlich nicht gut anspannen. Deshalb müssen wir einen Trick anwenden, um sie zu trainieren.

Welchen?

Wir müssen quasi auf diese kleinen Muskeln, die von Wirbelkörper zu Wirbelkörper ziehen, einen Zugreiz ausüben. Meine Lieblingsübung ist der Hacker. Ich stehe aufrecht, die Oberarme sind angelegt, die Ellbogengelenke sind 90 Grad gebeugt, Handflächen sind geöffnet, Daumen nach oben gerichtet – und mache abwechselnd mit beiden Händen schnelle Bewegungen nach unten und wieder zurück. So als wollte ich mit den Handkanten eine Zwiebel hacken. 30 Sekunden. Die tiefen Rückenmuskeln müssen dabei arbeiten – genauso wie beim Gehen, Kraulschwimmen und Radfahren. Bei all diesen Bewegungen Rotieren wir im Dienste der Gesundheit.

Kann man mit Arthrose noch trainieren?

Unbedingt! Ich habe schon viele Knorpel gesehen, die ausgetrocknet waren, weil die ärztliche Empfehlung war: Gelenk schonen. Aber nur, wenn der Knorpel bewegt wird, saugt er die ihn umgebene Flüssigkeit mit den enthaltenen Nährstoffen in sich auf. Ein intakter Knorpel ist voll Wasser und schimmert blau wie das Meer, so sieht er nur aus, wenn er bewegt wird. Schonung wird aber meistens empfohlen – und das ist falsch.

Das ist ja vielfach der ärztliche Rat, auch bei Nacken- und Rückenschmerzen.

Leider. Aber Schonung ist der Supergau für den menschlichen Organismus, dafür sind wir nicht gemacht.

Ingo Froböse: Muskeln – die Gesundmacher: So bleiben wir fit, schlank und mental in Balance. Wie eine gesunde Muskulatur Körper und Psyche positiv beeinflussen können., Ullstein-Verlag, ISBN 978-3864932205, Berlin 2023.

Deutschen Sporthochschule Köln

Prof. Dr. Ingo Froböse, geboren 1957, ist Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln und Deutschlands bekanntester Sportwissenschaftler. Er berät als Sachverständiger den Bundestag in Fragen der Prävention und arbeitet als wissenschaftlicher Berater für die Gesundheitsvorsorge der Krankenkassen. Er schreibt regelmässig Bücher zu den Themen Gesundheit, Sport und Ernährung.